Phantastische Früherziehung, oder: Wie sag ich’s meinem Kind?

Vor ein paar Wochen saß ich abends, 20.15 Uhr vor dem Fernseher und habe mich gefreut: StarWars Episode 3 startete, da bin ich gern hängengeblieben. Aber ich befand mich nicht allein vor dem Fernseher. Meine 16 Monate alte Tochter saß neben mir. Prima, bekommt sie gleich Einblick in die wirklich wichtigen phantastischen Unterhaltungsstoffe, dachte ich zuerst. Spätestens als das Raumschiffkampfspektakel mit Anakin und Obi Wan begann, beschloss ich aber, das Kind ins Bett zu bringen, und mit der phantastischen Früherziehung zu pausieren – ich hatte nämlich Angst um meinen eigenen Schlaf, den ich durch ein aufgeregtes Kleinkind in Gefahr wähnte.

Was mich seitdem aber beschäftigt: Ab wann sollte das Fantasygenre eine Rolle im (Kinder-)Leben spielen? Sollte es das überhaupt – oder ist die nicht zusätzlich phantastisch aufgeladene Kinderwelt mit ihren für mich banalen Hexen-, Feen- und Zwerge-Gestalten schon phantastisch genug? Welchen Zugang zu diesem großartigen, manchmal aber auch erschreckenden Genre biete ich persönlich meinem Kind?

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Wenn man sich das Spielzeuginventar meiner Tochter ansieht, entdeckt man lauter tolle Sachen: Plüschfiguren von R2D2, Ray und Finn schlafen in ihrem Bett; am Esstisch liegt neben einer kleinen Gabel ein Mini-Lichtschwert; aus den niedlichen Star-Wars- und Totenkopf-Bodies ist sie leider schon rausgewachsen, da muss Nachschub her; das Avengers-Halstuch passt zum Glück aber noch eine Weile. Für diese Nerd-Relikte kann meine Tochter natürlich nichts; meist findet sie sie nicht mal interessant, macht aber die Erwachsenen um sich herum glücklich – rein indem die Eltern diese bedeutungsvollen Items aus der Zeit vor dem Kind in den Kleinkindalltag hinüberretten konnten oder es zum Glück Onkels und Freunde gibt, die gern solche wunderbaren Nerdgeschenke machen.

Das ist der Bereich meines Lebens mit Kind, in dem ich Fantasy nicht nur begrüße, sondern erwarte. Denn warum sollte das Genre, das mich am meisten und am besten unterhält, in der Welt meines Babys ausgespart werden? Doch jetzt, wo meine Tochter ein Kleinkind ist und sich Unterhaltung in Medien wie Büchern, Filmen und Touchscreengeräten selbst aussucht (zumindest über den Fingerzeig-Befehl „Da!“), erlebe ich manchmal phantastische Überraschungen, wo ich sie nicht erwartet hätte. Beispielsweise das harmlos anmutende Kinderbuch „Lisa wartet auf den Bus“ von Sven Nordqvist, dem Erfinder von „Pettersson und Findus“. Darin stellt ein kleiner Junge der noch kleineren Lisa seine Plastikmonster-Armee vor. Zitat:

Mit den großen Zähnen und den Äxten und Totenschädeln sahen sie schrecklich aus.

„Was machst du damit?“, fragte Lisa.

„Das sind Soldaten“, sagte Johan. „Ich stelle sie zu einer Armee auf, und dann schieße ich sie mit Würfeln ab, und dann sterben sie.“

wp_20161211_13_39_18_proAha. Wann hat bitte Warhammer Einlass in Kinderliteratur gefunden? Ich bin hin- und hergerissen und verunsichert, ob ich – die Fantasy-Liebhaberin – mich darüber freuen soll. Wenigstens irritiert mich die schauerliche Illustration weniger als der Text, der sie begleitet.

Und damit stellt sich wieder die Frage: Wie früh soll mein Kind mit Fantasy in Kontakt kommen? Kann ich – als Büchermensch von Natur aus texttreu – meiner Tochter guten Gewissens vorlesen, was Lisa über das Schicksal der Plastikmonster erfährt? Ohne Rücksicht auf die Gefühle meiner Tochter, die noch nichts über Äxte, Totenschädel und das Sterben weiß? Soll ich lieber die bis an die Fangzähne bewaffneten Orks als lustig kostümierte Bären ausgeben und spontan die Geschichte erfinden, dass Lisa einen Faschingsball veranstaltet? Oder sollte ich meine Tochter schon vorsorglich und so früh wie möglich an die gängigsten Fantasy-Topoi wie Elfen, Zwerge, Orks heranführen, sodass mich harmlos anmutende Bücher wie „Lisa wartet auf den Bus“ gar nicht erst überraschen und in die Fantasy-Zwickmühle bringen können? À la „Nein, schau genau hin. Das ist kein Oger, sondern ein Ork. Nicht wie Shrek, sondern wie Azog der Schänder.“

Ein bisschen Zeit, um mich zu entscheiden, habe ich noch – aktuell sucht meine Tochter Buchseiten nämlich nur nach Kühen ab; grüne Monster werden wohl noch eine Weile unter die langweilige Kategorie „Frosch“ fallen. Wenigstens hat sich folgende Regel schon bewährt: Alles, was meiner Tochter Spaß macht, macht in der Regel auch mir Spaß. Und umgekehrt! Wenn ich sie also gern mit ihrem kleinen Lichtschwert spielen sehe, dann darf ich auch nicht den Schwanz einziehen, wenn es darum geht, ihr zu erklären, was ein Ork ist. Aber vielleicht warte ich damit noch ein kleines bisschen. Zumindest bis sie die Wesen der realen Welt nicht nur mit Lauten, sondern mit Namen benennen kann. Ich muss es ja nicht gleich übertreiben…

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